Im letzten Sommer duellierten sich im Grand Palais die olympischen Degenfechter. Jetzt treten die Informatiker unter dem berühmten Glaskuppeldach an. Am Montag tauschten sie sich namentlich über gemeinsame Technikstandards oder den horrenden Energieverschleiss im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) aus.
Abends luden Emmanuel Macron und der indische Ministerpräsident Narendra Modi gemeinsam über hundert Staatschefs und Tech-Bosse zum Galadiner in den Elysée-Palast. Erwartet wurden der amerikanische Vizepräsident J.D. Vance auf seiner ersten offiziellen Europareise, der deutsche Kanzler Olaf Scholz, der chinesische Vizepremier Ding Xuexiang oder EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen; dazu Brad Smith von Microsoft, Sam Altman von OpenAI oder Sundar Pichai (Google). Offen blieb bis zum Schluss, ob der Unternehmer Elon Musk und der Deepseek-Schöpfer Liang Wenfeng präsent sein würden.
Für die Schweiz war Bundesrat Albert Rösti präsent. Er will in wenigen Tagen bekannt geben, wie es in der Schweiz bei der Förderung und Reglementierung von KI weitergehen soll. Ein Grund mehr für die Schweizer Regierung, sich vor ihrer Weichenstellung in Paris zu informieren, was andere vorhaben.
Im Grand Palais herrschte an dem «Action Summit» nichts anderes als Goldgräberstimmung. Im Januar hatte US-Präsident Donald Trump das KI-Projekt Stargate lanciert, das mit einem privatfinanzierten Kostenvolumen von 500 Milliarden Dollar die Grössenordnung der KI-Zukunft aufzeigt. Aus China kam die – für Pariser Konferenzteilnehmer etwas allzu – simple Antwort mit dem Chatbot Deepseek. «Das Rennen um den KI-Markt hat eben erst begonnen», kommentierte Konferenzteilnehmer Clark Parsons vom European Startup Network (SDN).
Europäische KI-Pionierfirmen wie Aleph Alpha (Deutschland) oder Mistral (Frankreich) kämpfen um den Anschluss an die Amerikaner und Chinesen und rangen in Paris um öffentliche Investitionen. Die Regierungen gehen aber wie üblich eher national als europäisch vernetzt vor. Und die EU-Kommission aktivierte letzte Woche zuerst einmal einen «AI Act» mit Weisungen (etwa für die Skalierung nach der Grösse) und Verboten (des Social Scoring, das heisst der User-Überwachung).
Im Grand Palais gibt es allerdings auch Kritik an diesen Data Centers und ihrem gigantischen Energieverbrauch. Die Internationale Energieagentur (IEA) hat in Paris vorgerechnet, dass sich dieser Konsum bis 2026 auf über 1000 Terawattstunden verdoppeln dürfte. Das wäre so viel Strom, wie Japan insgesamt verbraucht – 5 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs. Die Rechenzentren müssen zudem mit viel Wasser gekühlt werden. Jede Abfrage durch einen User erfordert einen Deziliter, also ein kleineres Glas Wasser.
Macron, der die heraufziehende KI-Ära mit der Renaissance verglich, erklärte nicht minder vollmundig, es gehe um die europäische «Politik, Souveränität und Unabhängigkeit». Zuerst denkt der französische Präsident aber auch an seine nationalen Interessen. So lancierte er den Bau eines riesigen KI-Rechenzentrums in Frankreich. An den Kosten von 30 bis 50 Milliarden Euro beteiligen sich die Vereinigten Arabischen Emirate, wie deren Präsident Mohammed bin Said Al Nahjan vor Beginn des KI-Gipfels zusammen mit Macron angekündigt hatte.
Angela Müller von der Organisation Algorithm Watch CH kritisierte in Paris, dass das Streben der KI-Branche nach Grösse «völlig ausser Kontrolle» gerate. Auch Big-Tech-Firmen wie Google hätten ihr Ziel, bis 2030 klimaneutral zu werden, wegen KI bereits aufgegeben. Im Gespräch mit CH Media forderte die Schweizerin die Big-Tech-Exponenten wie Meta oder Google zu mehr Transparenz und Energiesparen auf.
«Die wirkliche Existenzbedrohung besteht nicht darin, dass KI-Maschinen ein Bewusstsein entwickeln und die Weltherrschaft an sich reissen könnten – sondern darin, dass wir zulassen, dass die Technologie unserem Planeten unkontrolliert Schäden zufügt», sagte Müller. Rechenzentren dürften deshalb nur mit erneuerbaren Energien funktionieren.
Macron will das mit den Emirati gebaute Rechenzentrum mit Atomstrom betreiben, um die Klimaneutralität zu erreichen. Parallel dazu plädierte der französische Präsident am Gipfel für die Bildung einer mit 2,5 Milliarden Euro gespeisten Weltstiftung, um den öffentlichen Zugang ärmerer Staaten und Erdenbewohner zu KI zu gewährleisten.
Australien, Taiwan, Südkorea und die Niederlande haben derweil Deepseek zumindest für ihren öffentlichen Dienst untersagt. Angesichts der zunehmenden Zweifel an der Open-Source-Lizenz, den Finanzangaben sowie den Trainingswerten gibt es nun auch Rufe in den USA, Frankreich und Italien, den Wunder-Chatbot «made in China» zu verbieten. (aargauerzeitung.ch)